Stammkneipe

An diesem Dienstagabend befinden sich nur wenige Menschenleben in der Bar. Die Luft ist keine – abgestanden und stickig. In diesem heißen Juli ist es für die Kneipe auch zu schwül, ohne Fenster und Dachluke. Die kleine, morsche Eingangstür ist offen und tut ihr Bestes, aber vergeblich. Genauso aussichtslos wie die 80er-Jahre Musik, die aus zwei alten Boxen dröhnt, angestrengt versucht, die Stimmung zu heben. Die Gemüter dümpeln für sich dahin. Jeder wartet, jeder wartet auf etwas anderes und doch alle auf dasselbe.

Ein junger Mann, der um einiges älter wirkt, mit schulterlangem, dunklem Haar und wirklich schmächtiger Statur, trinkt Club Mate und schüttet seiner Bekannten, der Kellnerin, sein Herz und mit einer zu ausladenden Geste auch die Flasche aus. Sie stellt ihm eine neue auf den Tresen und während des Aufwischens des Rinnsals klagt er, dass die Angebetete keine erotische Notiz von ihm nehme, er nur ein guter Freund sei und es nicht so wirke, als könne er sie jemals von sich und dem Gegenteil überzeugen. Die Geschichte seines Lebens.

Zwei Hocker weiter, direkt vor dem Zapfhahn, der seinetwegen fast viertelstündlich betätigt wird, sitzt ein älterer, unscheinbarer Mann mit verhärmten Zügen, zerknirscht kippt er ein Bier nach dem anderen in sich wie ein nicht enden wollender Strom an Vergessenheit. Sprechen tut er nichts und mit den Biergläsern an den Lippen würde das auch nur schwerlich funktionieren. Cyndi Lauper singt „Time after time“ und er wirkt mit einem Mal, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. Er stellt das Glas ab und murmelt etwas vor sich hin, die Kellnerin blickt kurz auf, aber senkt den Blick auch gleich wieder und stellt ihm ein neues Krügerl vor die Nase. Kaum merklich scheint er sich zu bedanken, versinkt innerhalb von Sekunden in seinem Glas und somit auch wieder in seiner Welt.

Ihm gegenüber nimmt gerade ein Typ mit Glatze Platz, der in seinem zu weit geöffnetem kariertem Hemd einen Bierbauch vor sich her trägt. Er blickt immer wieder zu dem Schmächtigen hinüber, er scheint gelangweilt zu sein, aber wirkt fahrig und unruhig – fast verärgert, wohl über nichts. Aus seinen Augen spricht die Angriffslust und der Club Mate-Trinker bemerkt gekonnt die Streitsucht, beendet sofort seine seufzende Leier und tut so, als müsse er irrsinnig dringend das Kleingedruckte des Etiketts auf der Flasche entziffern. Die Kellnerin raunt dem Dünnen zu, dass die Familie des Bierbauchs nichts mehr von ihm wissen wolle und fügt schulterzuckend hinzu: Und vermutlich auch sonst niemand. Laut fluchend und mit der Zigarette zwischen den Lippen, sichtlich aufgegeben, reibt er sein Gesicht. Besser Tränen vom Rauch in dem schmerzenden Auge als wegen der eigenen Unfähigkeit ein guter Vater und Ehemann zu sein. Er kämpft mit sich und deshalb oft mit anderen.

Das junge Pärchen am anderen Ende der Bar ist auch nur hier, um allein in den eigenen vier zu kleinen Wänden nicht miteinander sprechen zu müssen. Sie sind für ihr Alter schon lange zusammen – jetzt sitzen sie schweigend und mit leeren Gesichtern und Gläsern nebeneinander und warten – wie die toten Zigarettenstummeln im übervollen Aschenbecher vor ihnen auf ihr zweites Ende. Das Mädchen bekommt ein neues Getränk und ist sichtlich genervt – das Wasser, das sich am unteren Ende des Spritzerglases sammelt, tropft auf den sommerlichen Stoff ihres Rockes. Nach jedem Schluck positioniert sie es am dunklen Holztresen genau neben dem runden Wasserrandabdruck, der davor entstand, um die Wasserbildung und die Langeweile zu verringern. Das nützt aber nichts, da sich das Kondenswasser wegen des kalten Weines immer wieder von Neuem bildet und so zieht sie mit dem Finger langsam die Wasserkreise am Tisch nach, bis sie sie letztendlich mit einem Seufzer und der ganzen Handfläche verwischt. Gäbe es in diesem Lokal Bierdeckel, hätte sie zumindest das Wassertropfen-Rock-Problem nicht. U2 schallt aus den Boxen „With or without you“ und ihr Freund, der sie die ganze Zeit gedankenverloren beobachtet und dabei eigentlich ins Nichts starrt, lacht plötzlich schrill auf und verstummt gleich auch wieder. Das junge Mädchen und der Dünne blicken verwirrt auf. Er hat den Faden verloren, aber er braucht auch keinen, er setzt einfach woanders wieder an. Er sei ja ein Guter, er könne nicht verstehen, dass sie das nicht erkennt und stattdessen immer wieder zu dem Macho-Typ zurückgeht, der sie doch so mies behandelt. Er läge ihr die Welt zu Füßen, wenn er könnte.

Ich bezweifle, dass er ihr eine ganze Welt schenken könne, doch der andere mit ziemlicher Sicherheit ebenso wenig. Aber vielleicht will sie ja auch gar keine vollständige heile Welt. Frauen sind in der Hinsicht oft seltsam, kleben an Schlechtem und sträuben sich vor Gutem, wollen es nicht sehen und sich lieber quälen. Manche brauchen das Drama, andere leiden gern. Im Grunde leiden die meisten dieser Damenwelt ohne Grund, denke ich. Und so vergeht wieder eine Dienstagnacht in Gesellschaft der wahrscheinlich traurigsten Gestalten dieser Stadt, die zu sprachlosen Freunden wurden. Seelenverwandte auf Zeit – manche bleiben für immer, treffen sich morgen Abend wieder – in der Hoffnung, Positives erzählen oder erleben zu können, mit dem Wissen, dass das nicht geschehen wird. Der Ort, an dem man etwas finden will – ein schmerzvolles Gesuchtwerden. Aber die verirren sich nicht hierhin in diesen düsteren Kreis. Nur Trauermienen verlaufen sich hierher und ich.

Sommerregennacht

Erst wolltest du nicht kommen, jetzt sitzt du mit Fremden hier, trinkst dein sechstes Bier und während du dich scheinbar köstlich amüsierst, fragst du dich, ob der Abend hätte besser verlaufen können. Der Typ rechts neben dir erklärt dir in betrunknem Deutsch, dass er keine findet – das liebe Leid. Der auf der anderen Seite flirtet ungelenk mit dir und die Barfrau beäugt dich argwöhnisch, weil sie deine typischen Donnerstagabende kennt und weiß, wie er ausgehen wird. Du spielst deine Rolle perfekt, dämpfst deine Zigarette aus, steckst dir eine neue an, tröstest den Rechten, vertröstest den Linken und bringst eine witzige Anekdote nach der anderen. Die Runde lacht laut, nur der ohne Freundin versinkt selbstmitleidig in seinem Glas und der Flirtende wendet sich abgewiesenerweise ab. Recht wohl fühlst du dich selten in letzter Zeit, soll die Kellnerin nur schauen – und das tun, was sie kann, ein doppeltes Whisky-Cola bringen. Die Leute sind gut im Scheisse reden, im Grunde ist der Abend entbehrlich wie die meisten.
Du hörst den Regen draußen, stellst dir vor, wie er sich auf deiner Haut anfühlt. Du kippst das Glas hinunter und registrierst dabei die Gruppe, die aus dem Regen ins Lokal kommt, lachend und Nässe abputzend, musterst den gutaussehenden Mitzwanziger, checkst dein Whatsapp – keine Nachticht von…, richtest dir die Haare, stehst auf und gehst lasziv zur Bar, lächelst kokett, siehst ihm in die Augen und in dem Moment, in dem er interessiert fragend und verschmitzt die rechte Braue hebt, weißt du, du verschenkst dich heute Nacht wieder einmal. Die Barfrau verzieht verächtlich das Gesicht mit einem „war ja klar“-Blick. Ihr geht zu dir. Du kennst seinen Namen nicht, bemerkst nur, dass er gut riecht. Nicht so wie…, aber gut, anders – anders riechen ist gut, besser. (K)eine Erinnerung. Die Tür fällt ins Schloss und er über dich her, drückt dich gegen die Wand, küsst dich hemmungslos, hält mit einer Hand dein Kinn fest und mit der anderen versucht er, den Slip unter deinem Rock zu greifen, um ihn dir runterzuziehen. Die nassen Haare kleben dir im Gesicht, er streicht sie zur Seite, schaut dich fordernd an und du denkst nicht mehr. Nicht mehr an…, lässt alles geschehen. 

Später liegst du körperlich teilbefriedigt neben dem schlafenden Typen im Bett. Es ist dunkel, du fühlst dich einsam und rauchst eine Zigarette, suchst dein Handy – keine Nachricht von…, du ärgerst dich über dich selbst, bist unzufrieden, der Unbekannte soll weg! 

Du hörst den Regen draußen, stellst dir vor, wie er sich auf deiner Haut anfühlt und plötzlich wachst du auf – wie aus einem Traum und weißt, so wird der Abend heute Nacht nicht enden. Du kippst das Glas hinunter, registrierst die Gruppe, die aus dem Regen ins Lokal kommt, lachend und Nässe abputzend, ignorierst den gutaussehenden Mitzwanziger, checkst dein Whatsapp – keine Nachricht von…, richtest dir das Haar, stehst auf und gehst zur Bar, bezahlst deine Zeche bei der überraschten Barfrau und machst dich auf den Weg – raus in den Sommerregen. Du stehst vor dem Lokal, schließt die Augen, hebst den Kopf und spürst den Regen auf deiner Haut. Die restliche Nacht spazierst du durch die menschenleere Stadt bis dein Handyakku irgendwann schlapp macht, weil du deine Lieblingsmusik hörst. Du grüßt den Zeitungsständerauffüller. Die nassen Haare kleben dir im Gesicht, du streichst sie dir zur Seite und spürst seit langem wieder ein Für-dich-sein. Du kommst nach Hause, legst dich ins Bett, es ist dunkel, du fühlst dich allein und rauchst eine Zigarette. Du hörst den Regen draußen, spürst ihn auf deiner Haut und schläfst ein.

bier aus der dose, kalter döner, der vollmond und du. das ist die definition von glück in einer lauen sommernacht. wenn der mond noch so hell leuchtet, als würde er uns den weg heimzeigen wollen und der letzte noch wache vogel sein lied trällert, ist alles perfekt. zumindest sollte es das sein – denke ich. kein edler tropfen, kein dessert schmeckt ohne dich. ohne mond. machmal fühlt es sich an wie gänsehaut, kribbelig und kalt und manchmal wie übler magenvirus, krampfend und kotzend, wenn du nicht da bist, ich an dich denke und in die kalte, verregnete nacht starre, darauf wartend, dass die zeiger ihren weg gehen, sich der inhalt der fuselflasche dem ende zuneigt und der mond seine runde vollzogen hat. mit dem wein in mir wird mir schwindelig, übel, ich wanke, möchte weg sein, bewusstlos – so ist es immer noch besser als das gefühl, dass ich habe, wenn ich daran denke, dich nie wieder zu sehen. ich muss mich setzen, es muss sich setzen, das wissen. mir fällt es leichter als der gewissheit. du sagtest mal: bist du wasser, dann schwapp über – sei nicht eintönig, durchbrich grenzen. ich versuche es nicht einmal. ich belege dich mit allen positiven superlativen, die ich kenne. du hast sie nicht verdient und bringen tut es nichts. nicht für mich und nicht für dich. dir bringt gar nichts und niemand etwas. mir nur der lieferservice die falsche pizza – belegt mit brokkoli und schinken, mit pepsi statt cola. ich spiele uno mit wasserdichten karten – gegen mich selbst und frage mich, wann die tage kommen, die ich wieder vergesse, die so alltäglich und normal sind, dass sie zu mir passen. der horrorfilm gruselt mich nicht und bei uno verliere ich. ironie! ich denke an dich und denke nichts. heiße sommertage ängstigen mich, ich bin noch nicht bereit. wann bin ich bereit? bin ich jemals bereit? ich hab ne emotionsgrippe, alles kommt raus. auch die unansehnlichen, vereiterten und geschwollenen. morgen ist ein neuer tag. ohne mond, mit wasser. die unokarten hättens gut. mit löchrigen schuhen durch die stadt laufen und spüren, dass die socken nass werden. ich hab keine zuckerzechn! sollen sie durchdrungen sein. sollen die vögel doch singen, ich lalle. und hab keinen blassen schimmer, was mir meine worte sagen wollen. vielleicht verfickte löcher. doch wahrscheinlich ist es nur das alt bekannte: du bist selbst schuld, weil du nicht stark genug bist! ich trinke 3 tage alten kaffee. starken kaffee. kalter kaffee macht schön, sagte meine oma. ich bin die schönheit – eingebettet in selbst erdachter finsternis. ich setz mich aufs fensterbrett, sehe den mond – halb so alt wie die schwarze brühe. ich denke nach, nach links schaue ich und sehe rosa wolken, lache ob der unmöglichkeit der uhrzeit, sehe das wasser an der scheibe runterlaufen und falle. tief. hinunter. was hätte ich denn lernen sollen? ich selbst zu sein? ich bin es. ich war es. du warst nicht da und ich habe es vermutet. ich wache auf, denke an kalten döner und kotze auf den bürgersteig unter meinem küchenfenster. das ist mein leben. salute! morgen geht das spiel von vorne los – wann gewinne ich? wann beginne ich? wann bringt mir der bote meine pizza? vielleicht bestelle ich morgen die richtige, die mit frischen pilzen, knoblauch und extra käse. und als nachtisch du. ich lache, verschlucke mich daran, gluckse und huste. ich bleibe allein – mit dem mond. er leuchtet mir ja den weg. gehen muss ich ihn selbst oder torkeln – hauptsache weg. weg von kotze und gedanken. morgen ist auch noch ein tag – ohne mond, mit mundgeruch und blauen flecken. auf ein neues!

 

mond

Foto: Hannes Gsell – grafik.at

 

 

Freischwimmen

Um den Kopf freizubekommen, gehe ich Längen schwimmen. Nicht denken, einfach tun. Das Wasser ist kalt, tut gut und mit jeder Bewegung zähle ich die Bahnen. Eins, eins, eins.. zwei, zwei.. drei.. Bei der Zehnten schaue ich auf die Uhr – zehn Minuten, schön. Blöderweise funktioniert das Nichtdenken nicht. Trotz des Zählens bemerke ich, wie sich die Gedanken langsam einschleichen. Nein, weg! Weiter schwimmen. Ich kann gleichzeitig an zwei Sachen denken, zwölf, zwölf, zwölf, zwölf.. ich bin alleine im Bad, um diese Zeit schwimmt keiner oder sie tun es im Freibad, schön. Vierzehn, vierzehn, vierzehn.. gut für mich, ich möchte allein sein – mit dem Bademeister, der genauso seine Runden zieht, im Trockenen mit quietschenden Badeschlappen. Neunzehn, neunzehn.. ich bin schnell, nach der Zwanzigsten mach ich eine kleine Pause. Kopf unter Wasser, Kopf abkühlen. Einundzwanzig, einundzwanzig, einundzwanzig.. du bist da, du bist weg – das Leben geht weiter, mit Dreiundzwanzig hatte ich auch schlimmen Liebeskummer. Aber das Leben schenkt dir, wenn es gnädig ist, immer wieder einen weiteren Tag, ein weiteres Monat und wenn du schlau bist, nutzt du diese Zeit und Schmerzen verblassen. Fünfundzwanzig, fünfundzwanzig.. ha, ja in dem Alter ging es mir wieder besser. Das Leben ist schön, es gibt so viele tolle Momente. Sechsundzwanzig, sechsundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig.. ein Mann kommt von der Umkleide herauf, ein Krauler, das sehe ich gleich, er setzt die Brille auf. Achtundzwanzig.. er dehnt seinen Körper und streckt sich am Beckenrand, setzt die Taucherbrille auf und zum Sprung an. Bei der nächsten Länge.. dreißig! Ich freue mich, höre ihn hinter mir ins Wasser springen und auch mein Herz macht einen Sprung. In zwei Monaten bin ich dreißig, dreißig, dreißig, dreißig.. ist ein schönes Alter. Ich erwarte das neue Jahr mit Spannung und mir schwappt eine Welle des Kraulers in die Nase. Er zieht Wellen nach sich und ich den Bauch ein. Kann der mich unter Wasser sehen? Zweiunddreißig, zweiunddreißig, zweiunddreißig.. nicht denken. Who cares? Dreiunddreißig, dreiunddreißig.. zwei Jugendliche kommen von den Rutsche – süß sehen sie aus, blödeln verliebt herum, ich mache meine Froschbewegungen. Hatten die schon mal Liebeskummer? Und schon wieder du! Ich tauche unter und meine Gedanken gleich mit. Fünfunddreißig, fünfunddreißig, fünfunddreißig, fünfunddreißig, sechsunddreißig, sechsunddreißig, sechsunddreißig, sechsunddreißig.. Ich werde dich nie wieder sehen, werde dein Leben nicht verfolgen können – wie so manch anderes Leben auf Facebook. Du bist weg! Weiter schwimmen! Ein Krampf, im Herzen. Siebenunddreißig, siebenunddreißig, siebenunddreißig, siebenunddreißig, achtunddreißig.. die Acht ist meine Lieblingszahl. Schon lange bevor ich wusste, dass sie umgelegt für Unendlichkeit steht. Ich erinnere mich gut an die Mathe-Stunde, als unser Lehrer uns dieses Wissen unterbreitete, ich lächle. Bei jedem Geburtstag mit einer Acht in der Zahl freute ich mich besonders und genoss es, wenn mich in dieser Zeit jemand nach meinem Alter fragte. Achtunddreißig, achtunddreißig.. wie wird mein Leben wohl in acht Jahren aussehen? Neununddreißig.. du wirst schon lange weg sein und viel wird sich seitdem getan haben. Werde ich dann noch manchmal an dich denken? Vierzig, vierzig, vierzig, vierzig.. Eine Minute Pause, am Rand anhalten und dem Krauler zusehen.. wie werde ich mit vierzig aussehen? Wo werde ich wohnen? Ich mag diese Gedanken, es ist spannend. Einundvierzig, einundvierzig, einundvierzig.. ich mag meine Zukunft. Ich mache keine Zukunftspläne – das Leben gleitet so dahin. Bei der mündlichen Matura-Prüfung gestern saßen die kleinen Maturanten vor dem Komitee – Thema: Erwachsenwerden. Wie stellst du dir das Leben in Zukunft vor, wenn du erwachsen bist? Eine Familie, Kinder, ein Haus, auch mit Mann – war die häufigste Antwort der Mädls. Ab wann ist man erwachsen? Unterschiedlich, aber so ab dreißig, denke ich – sagten viele. Süß. Fünfundvierzig, fünfundvierzig.. ich lächle. Als ich sechzehn Jahre alt war, mussten wir in der Schule einen Brief an unser zukünftiges Ich im Alter von dreißig Jahren schreiben. Was stand in meinem? Siebenundvierzig, siebenundvierzig, siebenundvierzig, siebenundvierzig.. eine erfolgreiche Mediendesignerin wollte ich sein, mit einem Haus am Land mit vielen Glasflächen, dass die Sonne es durchflutet. Von Kindern war auch die Rede, aber der Beruf nahm mehr Platz auf den zwei Seiten ein. Achtundvierzig, achtundvierzig.. Witzig, von einem Haus bin ich weit entfernt, eigentlich von allem. Ich mag mein Leben irrsinnig gern und der Liebeskummer gehört dazu, auch wenn es weh tut. Es gibt nicht nur diesen einen Menschen auf der Welt. Es gibt nicht ständig Happy Ends. Es gibt mehr als einen Deckel und es gibt nichts, dass es nicht gibt. Das ist das Leben. Fünfzig.. seltsam, wie das Leben funktioniert. Es zieht Kreise, immerzu und man kommt immer wieder an denselben Punkt mit immer wieder verschiedenen Menschen, wenn man nicht schafft, es zu durchbrechen. Dreiundfünfzig, dreiundfünfzig, dreiundfünfzig, vierundfünfzig, vierundfünfzig.. Eine Frau gesellt sich zu meinem Krauler und mir, sie zieht ihre Bahnen direkt neben meiner. Ihr Alter passt annähernd zu meiner Längenzahl, lustig. Fünfundfünfzig, fünfundfünfzig, fünfundfünfzig, fünfundfünfzig, fünfundfünfzig.. den Kopf freizubekommen, obwohl man ständig denkt? Das Schwimmen hat doch nicht so geklappt, wie ich mir das vorgestellt habe. Egal, weiter! Siebenundfünfzig, siebenundfünfzig, siebenundfünfzig, achtundfünfzig, achtundfünfzig.. neunundfünfzig, neunundfünfzig, neunundfünfzig, neunundfünfzig.. Untertauchen.. Sechzig. Pause! Die Sonne scheint mir ins Gesicht, ich spüre das kühle Nass, ich war schon immer eine Wasserratte, passend zum Sternzeichen und zum Geburtstagsmonat. Im Juli geboren zu sein, ist großartig. Die Feiern unter freiem Himmel sind lebendiger als die im Winter im Haus. Einundsechzig, einundsechzig, einundsechzig, einundsechzig.. mit Einundsechzig bin ich schon ne alte Frau. Der Gedanke bringt mich zum Grinsen. An die Zukunft zu denken, lenkt mich vom  gegenwärtigen Jetzt ab und macht es erfreulicherweise nichtiger. Das gleiche Phänomen, wie am Meer zu sitzen und den Wellen zuzusehen. Wie gerne wäre ich jetzt dort. Den Sand zwischen den Zehen zu spüren, die salzige Luft einzuatmen. Ich liebe das Meer, da fühlt man sich klein. Das tut gut, denn auch die Probleme werden kleiner. Vierundsechzig, vierundsechzig, vierundsechzig, vierundsechzig, vierundsechzig.. am Strand zu sein, nur für sich und an die Zukunft zu denken, solange bis die Sorgen so klein sind, dass man sie nicht mehr fassen kann. Da bin ich ganz für mich, ganz bei mir. Ohne andere Menschen, ohne Gedanken an andere. Einatmen, ausatmen, schwimmen. Siebenundsechzig, siebenundsechzig, achtundsechzig, achtundsechzig, achtundsechzig.. Wieder ne acht. Ich freue mich. Nach den nächsten zwei Längen werde ich mich vom kalten Becken verabschieden und noch fünf Minuten im heißen Whirlpool entspannen. Neunundsechzig, neunundsechzig.. oder doch noch zehn Längen mehr? Neunundsechzig.. ich will nicht aufhören zu schwimmen, zu leben. So geht es mir immer, wenn ich einmal im Wasser bin.. das Bad sperrt bald zu. Egal, ich komme ja wieder. Siebzig.. der Kopf war nicht freizubekommen, aber ich fühle mich freier. Es liegt noch viel vor mir, jetzt zum Beispiel das heiße Blubberwasser und der Rest wird auch noch ganz wunderbar. Siebzig, siebzig, siebzig..

 

 

Hoffnung

Seit 25.09.2015 stellt das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (kurz: Außenministerium) Reisewarnungen für Afghanistan aus – mehr noch: Es wird allen in Afghanistan lebenden Auslandsösterreichern dringend angeraten, das Land schnellstmöglich zu verlassen. Die Österreichische Botschaft in Kabul wurde geschlossen. Dieser Stand ist aktueller (02.03.2016) denn je – keine Besserung in Sicht. Die Menschen fliehen seit 1980 zu Millionen vor Terror und Anschlägen. Wir, die in Österreich lebenden Österreicher, bekommen in diesem Jahrzehnt nicht viel davon mit, die Medien berichten kaum darüber.

Somit wundert es auch nicht, wenn viele unserer Innenministerin Johanna Mikl-Leitner auf den Leim gehen, wenn sie in der Kronen-Zeitung inseriert, dass Flüchtlinge, die wegen wirtschaftlicher Gründe nach Österreich wollen, kein Asyl mehr bekommen und erklärt, dass die – vergleichsweise geringe – 10.000 Euro-Kampagne vorerst in dem (Vorsicht Ironie!) sicheren Land Afghanistan Anklang finden soll. Mit Plakaten und TV-Spots wird in den fünf größten Städten in Farsi (einer der offiziellen Landessprachen) darauf hingewiesen, dass es besser sei, im Land zu bleiben, da Österreich wirklich sehr unattraktiv ist und hier keine sichere Zukunft möglich sein wird.

Abgesehen davon, dass sich die afghanische Bevölkerung davon nicht abhalten lassen wird zu fliehen, denn bevor man stirbt, versucht man sein Glück anderswo – Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt -, ist zu bedenken, dass Afghanistan eine sehr hohe Analphabetenrate (65 Prozent) hat, da der Zugang zu Bildung jahrzehntelang durch Bürgerkriege, Taliban etc. mehr als erschwert wurde. Viele werden diese Plakate also nicht entziffern können.

Nicht nur, dass diese – Afghanistans billigen Preisen sei Dank – 10.000 Euro besser investiert gewesen wären, scheint es, dient diese Kampagne einzig und allein dazu, sich der FPÖ-Wählerschaft anzubiedern. „Ja, wir tun etwas. Ja, wir müssen unser Land unattraktiver machen. Ja, wir müssen unsere Außengrenzen schützen.“ Schützen wovor? Vor unkontrollierten Menschenmassen, die nicht mehr in den Griff zu bekommen sind? Terror, Islamisierung, sexualisierte Gewalt – besser aufhalten und die Menschen sterben lassen, anstatt Geld in gute Integrationsmaßnahmen zu stecken, versuchen Berührungsängste, Klischees und Vorurteile abzu- und Menschlichkeit aufzubauen. Die Hoffnung ist noch nicht gestorben, aber bis dahin führen wir einmal eine Tages-Obergrenze von 80 Menschen, die einreisen dürfen, ein. Denn: Österreich ist überfordert, wir können diese Massen nicht mehr stemmen. Der Druck auf die anderen Balkan-Staaten wird also erhöht und dramatische Szenen spielen sich seit einigen Tagen an der griechisch-mazedonischen Grenze ab. Der Domino-Effekt der Vernunft – Tränengas gegen verzweifelte Menschen – wurde in Gang gesetzt und zeigt nun sein bestialisches Gesicht. Bilder, die vorauszuahnen waren, Bilder, die in Kauf genommen werden, Bilder, die die Kampagne in Afghanistan tatkräftig unterstützen sollen.

„Leute, ihr werdet auf dem Weg hierher möglicherweise im Meer ertrinken und wenn nicht, werdet ihr an den Grenzen leiden, hungern und frieren – solange sich die anderen Staaten nicht dazu bequemen, auch aktiv zu werden. Falls dies in Zukunft nicht geschehen sollte und ihr tatsächlich heil nach Österreich gelangt, ja dann werdet ihr sehr lange warten, da wir den Antrag nicht bearbeiten und nach ungefähr zwei Jahren bekommt ihr dann sowieso einen negativen Bescheid. Meine Lieben, das wollt ihr doch nicht! Besser ihr bleibt zu Hause und versucht dort zu überleben.“ Flüchtlinge werden zu Spielbällen der Politik gemacht – zu Bauernopfern.

Und die österreichischen Bürger? Die werden seit dem letzten Sommer indoktriniert, denn der Mensch steht nicht mehr im Vordergrund. Wir werden überrannt und so muss man unterscheiden, kategorisieren, separieren. Die Armen dürfen ja kommen, denen helfen wir gerne – solange es nicht mehr als 37.500 sind. Aber die anderen, die „Scheinasylanten“, die die aus wirtschaftlichen Gründen – also wegen Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Hunger und aus Angst um die Zukunft ihrer Kinder durch Anschläge – fliehen, finden hier kein Zuhause. Afghanistan ist für Österreicher kein sicheres Zuhause. Österreich ist für Afghanen kein sicheres Zuhause. Ist doch nur fair!

Wie es weitergehen wird, bleibt spannend. Klar ist jedoch, dass die Bilder noch unmenschlicher werden, wenn Europa nicht zu einer gemeinschaftlichen Lösung kommt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Hetze

Wer hetzt?

Die Politiker hetzen Richtung rechts, um die nationalen Grenzen zu schützen und nicht noch mehr Wählerstimmen zu verlieren. Die Medien hetzen den angeblichen und den wirklichen Schand- und Gräueltaten der Flüchtlinge hinterher, aus Angst, nach dem Köln-Vorfall nicht wieder dem Vorwurf der Lügenpresse ausgesetzt zu sein. Und die „besorgten Bürger“, die hetzen einfach – verbreiten Gerüchte und Missgunst. Mitunter alle in Österreich sind zur Zeit hysterisch. Hysterische Menschen denken nicht klar und rational, einige sogar eher national-istisch.

So rhetorisch unterirdisch und unmenschlich unsere Innenministerin im Moment auch klingt, man kann ihr fast abnehmen, dass sie mit dem Schützen der österreichischen Grenzen das Engagement der anderen EU-Staaten in der Migranten-Thematik vorantreiben will. Jedoch nehme ich ihr nicht ab, dass sie davon überzeugt ist, dass sich Menschen von „Druckpunkten“ an den Grenzen abhalten lassen ins Land zu kommen. Wie sie mit den „baulichen Maßnahmen“ und der „Obergrenze“  verhindern will, dass vor Krieg und Terror fliehende Menschen unseren Boden nicht betreten, frage ich mich ernsthaft. Schaffen wird sie das nicht und die Folgen von illegaler Einreise (rund um den Zaun) werden Obdachlosigkeit, Hunger, Kriminalität, Elend und ein Verstecken im Untergrund sein. Die deshalb leidenden – hoffentlich nicht bald toten – Bauernopfer werden in Kauf genommen. Die Methoden, die angewendet werden sollen, schüren selbstredend Verzweiflung und Hass. Dankbar werden die wenigsten Flüchtlinge sein. Mit den abstrusesten Ideen werden die Fliehenden vergrault – ob es rote Bänder am Handgelenk sind, die sie kennzeichnen sollen, ob es ein Schwimmbad- oder Ausgehverbot nach Einbruch der Dunkelheit ist oder ganz simpler Alltagsrassismus der Mitmenschen – der Phantasie sind – spannenderweise hier – keine Grenzen gesetzt und erinnert immer mehr an vergangene Zeiten. Ausgrenzung, Stigmatisierung, Gerüchte, Aufregung und Hysterie  – wir wussten von nichts – trotz der neuen Sozialen Medien und der damit einhergehenden Verbindung in die meisten Länder.

 

Wer hat Angst vorm… weinenden Flüchtlingskind?

Man muss Angst haben vor dem fremden arabischen Mann – am Bahnhof, im Schwimmbad, am Heimweg und das nicht nur Nachts, auch tagsüber ist man nicht mehr sicher, das versichert man uns tagtäglich. Man sollte ihnen nicht in die Augen sehen, sie nicht provozieren, am besten verschleiert außer Haus gehen und nicht mehr ohne Begleitung auf die Straße. Angst soll man haben –  muss man haben, um unser sorgenfreien Leben, um unsere Freiheit, um unser Geld und unsere Privilegien. Alles steht Kopf. Frauen denken darüber nach, sich Pfeffersprays zuzulegen und fürchten sich vor ausländischen Männergruppen in der Öffentlichkeit. Männer gründen mehr als fragwürdige Bürgerwehren. Vieles läuft falsch – rennt falsch. Nein, hetzt – das ist falsch! Wie man an den Videos aus Sachsen (Clausnitz) von gestern Abend sieht. „Wir sind das Volk!“ wird gebrüllt und Frauen mit ihren Kindern werden eingeschüchtert, so dass sich diese nicht aus dem Bus bei der Unterkunft trauen und weinen. Bis sie dann von der Polizei hineingezerrt werden.

„Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient“, meinte der französische Philosoph und Politiker Joseph Marie de Maistre. Die Politik handelt nach Meinung und Aufschrei des Volkes. Das Volk agiert – die Politik reagiert. Welches Volk schreit da, welches Volk ist hier „besorgt“? Ich bin es nicht! Nicht dieses Volk, das man überall hört und liest. Nur wenn man ganz genau hinsieht, entdeckt man die Stimmen, die dagegen sind. Gegen den Hass, der sich immer mehr und flächendeckender ausbreitet, gegen die Unmenschlichkeit, die salonfähig geworden ist, gegen die Verrohung der Menschen und ihrer Sprache und gegen Grenzen, Zäune und Mord, gegen den Tod tausender Unschuldiger. Ich sage das laut und deutlich und mit Konjunktion: Zu diesem Volk gehöre ich nicht! Da wurde ich gefragt, was man noch tun kann, so als vermeintlicher „Gutmensch“ auf fast verlorenem Posten. Selbst hatte ich eine Zeit des Zweifelns, des Aufgebens – aber nein! Nicht resignieren, nicht einknicken – laut sein, aufstehen! Zivilcourage zeigen, wenn es notwendig ist und gegen jedes Hassposting anschreiben. Nicht mehr antworten reicht jetzt nicht mehr!

Seifenblasenrealität

Die unzähligen Tropfen prasseln gegen die Scheibe, es ist dunkel und ich sitze allein auf der Couch, indirektes Licht in Form von zehn Kerzen rund um mich, meinen Gedanken nachhängend und heißen Schwarztee nippend. Ich hab dich schon öfter im Regen schwimmen gehört und trotzdem gehst du mir gerade irrsinnig ab. Genau so sehr, dass ich vorhin drauf und dran war, mir einen Pinguin aus dem Zoo zu stibizen. Dann wurds doch die Ente ausm Park. Die watscheln auch süß, aber natürlich nicht vergleichbar mit dir. Ich mag dich mehr als verregnete Sonntage – muss ich wohl oder übel mehr recht als aufrecht zugeben. War mir lange nicht bewusst oder wollte es nicht ins Bewusstsein dringen lassen. Die Ente quakt und blickt mich vorwurfsvoll an, wahrscheinlich will sie ebenso wieder zu ihrem Enterich, wie ich mich zu dir wünsche. Was soll dieses Tier auch hier tun in der kleinen Wohnung ganz allein? Ich nasche das letzte Merci – Kaffee-Sahne – aus der Großpackung und frage mich, ob ich mit Isabell mehr gemein hab als mir lieb ist. Isabell quakt ungeduldig. Ich werde nervös. Darf man Enten zuhause halten? Nicht, wenn sie glücklich sein sollen.. wir gehen raus. Der Regen peitscht mir ins Gesicht, ich fühle die Freiheit, spüre die Nässe, genieße den kalten Wind, der mir beinahe die Luft zum Atmen nimmt. Isabell watschelt nicht mehr, sie fliegt – davon und bald erkenne ich sie in der Nacht nicht mehr. Nach unserem letzten Treffen sah ich dir ähnlich hinterher, nur flogst du nicht, der Zug entfernte dich von mir. Ich gehe noch eine Weile, springe von Pfütze zu Pfütze und weiche Lacken aus. Frei sein will ich, aber ich will es mit dir. Wäre das nicht Glück? Sich gemeinsam frei zu fühlen, wenn man der Sonne beim Untergehen zusieht oder aus den selbstgepflanzten Tomaten den ersten Salat mit Jogurt und Zitrone zubereitet? Oder diese seltsamen seltenen Momente miteinander erlebt, in denen man dem anderen in die Augen schaut und genau den Menschen darin erkennt, der er ist, ohne dass man sich abwenden muss, weil es ein innerer Kampf beider ist, wer es länger aushält? Ich bin patschnass, diese Gedanken bringen mich nicht weiter – ich kehre um. Wärst du jetzt hier würden wir nach Hause gehen, über die Zukunft Isabells sinnieren, gemeinsam heiß duschen, du würdest mich abrubbeln und mich in meine Lieblingsschlabbersachen stecken. Ich mache es allein, ich kann das auch. Mit dir macht es mehr Spaß, auf der Couch mit Tee und Kuscheldecke. Jedes Mal wenn du da warst, hielt die Zeit an, etwas Magisches lag in der Luft – jede Minute, jeden Tag und jede Nacht. Und sobald du in den Zug stiegst, setzte just das Leben wieder ein. Der Traum zerplatzte wie eine mit Zigarettenrauch gefüllte Seifenblase. Danach roch es wie in einem ungelüfteten Partykeller am nächsten Morgen, so dass man ihn gar nicht betreten möchte, um aufzuräumen. Doch so wie der Zug dich ohne Verspätung fortbringt, so läuft die Zeit weiter und man muss sich dem Keller stellen, ganz ohne Magie und Wunder. Man lebt und putzt gründlich weiter mit dem Kopf voller neuer Erinnerungen und der Hoffnung, dass die nächste Kellerparty so bald als möglich steigen werde. Man hangelt sich durch die Realität von Party zu Feier, von Traum- zu Seifenblase und erwacht am nächsten Tag glasklar, sitzend auf dem Sofa, umringt von Kerzen und melancholischen Gedanken mitten im echten Leben, allein. Glücklichsein mit dir ist wie ein Rausch, ohne Kater am Tag danach, jedoch manchmal eventuell mit Enten. Isabell ist von ihrem Ausflug in eine chaotische kleine Welt bestimmt schon zu ihrem Liebsten zurückgekehrt. Vielleicht sollte ich es ebenso machen, einfach immer weiter fliegen, irgendwann fliegst du dann vielleicht mit mir zusammen oder ziehst deine Kreise laut hörbar mit mir gemeinsam im Regen. Die unzähligen Tropfen prasseln gegen die Scheibe, es ist dunkel und ich sitze allein auf der Couch, indirektes Licht in Form von zehn Kerzen rund um mich, meinen Gedanken nachhängend und heißen Schwarztee nippend.

Widersprüchliches

 

Und plötzlich steht ein Mensch vor dir und ohne vieler Worte begreift ihr beide diese seltsame und sanfte Verbundenheit und ohne viel Aufhebens denkt ihr euch nichts dabei und dann seht ihr euch ein weiteres Mal und könnt die wortlose und dennoch oder gerade deshalb zärtliche Zuneigung nicht mehr ignorieren und beginnt miteinander zu schreiben und nach wochenlangem sehnsüchtigen Kommunizieren entschließt ihr euch dazu, ein Treffen abseits der zwei Arbeitstage und der aufgebauten Traumwelt stattfinden zu lassen, wissend, dass alle Widrigkeiten des Lebens gegen Liebe sind. Und die Zweifel an der eigenen so merkwürdigen und närrisch bockigen, und gerade wegen der starken, Gefühle helfen der Situation nicht.  Und trotzdem rückt alles Dagegensprechende in den Hintergrund und wird nichtig, da die Anziehungskraft übermäßig und dergestalt heftig ist, dass ein Rückzieher in keinem Fall akzeptierbar bleibt und ein „Was wäre wenn“ schon gar nicht. Und ihr fiebert dem Wiedersehen entgegen, die Einwände und Unsicherheiten außer Acht lassend, freuend und täglich nervöser werdend, da nicht gesagt ist, dass das Geschriebene, Gedachte und alles Gefühlte auch der Realität entspricht. Und dann ist es soweit und ihr beide könnt nicht glauben, dass der Zustand miteinander sich in real genauso verhält wie in Gedanken tausende Male abgespielt und alles andere sogar mehr als ein ganzes Stück besser läuft, als es in der Vorstellung der Fall war. Und ihr seid glücklich im Moment lebend, einfach seiend und unheimlich dankbar, es gewagt zu haben und absolut perplex, weil ihr nicht und nicht in den Kopf bekommt, dass gerade alles so geschieht, wie es sich zuträgt, da es schon zu perfekt zu sein scheint.

Und dann taucht da still und heimlich und immer größer werdend die Frage auf, die Frage nach dem Weitergehen. Und beide sitzen sich nicht ratlos gegenüber, da der eine wieder zurück geht und der andere weiter bleibt. Und die Antwort schreibenderweise lautet wie aus einer Hand: trotzen – den Widrigkeiten. Sie auflösen funktioniert nicht, nicht daran denken auch nicht und sie umgehen schon gar nicht. Aber trotzen, trotzen geht und es bleibt – nichts anderes übrig und alles, wie es zuvor war, mit einem Menschen im Herzen reicher und eine Sehnsucht nach so vielem Neuen und eben Entdeckten mehr verspürend als möglich und vor allem mit der Hoffnung, dass alles gut geht. Und so lange es noch nicht gut geht, wird getrotzt – so gut es geht. Die Umstände bleiben, der Wille auch. Und so schaut ihr beide bangend, weil Grenzenüberschreitendes auf dem Spiel steht, welcher Atem länger ist, darauf wartend, dass die Widrigkeiten gehen und die Gefühle bleiben und hoffend, dass dieser Traum, der Realität werden soll, aufrecht erhalten wird.

Uta

Der Tag heute hätte dir gefallen, so viel Liebe und Gefühl, so viel Zusammenhalt und Rücksicht, so viele liebe Menschen und Worte – deinetwegen. Du wärst gerührt gewesen. Vermutlich hätten dir die Worte gefehlt, obwohl du immer die richtigen für jede Situation parat hattest, was an deiner Einstellung zum Leben lag. Du warst heute dabei und hast trotzdem irrsinnig gefehlt! Jedem von uns! Aber wir nahmen dich in die Mitte und ließen dich hochleben für deine wunderbare Seele, mit der du uns so oft bereichert und inspiriert hast. Du hast mit uns gelebt, dass es sich nicht anfühlte, als wärst du nicht mehr da. Den ganzen Tag über war es, als seist du dabei. Sitzt irgendwo in den Reihen der Kapelle oder unterhältst dich gerade prächtig mit jemandem nach dem Essen im großen Saal. Prostest mir lächelnd vom anderen Ende des Raumes zu und nimmst einen Schluck vom Rotwein, weil wir das immer so machten.

Du hast immer das Gute in jedem gesehen und das Leben mit jedem Atemzug aufgesogen und genossen. Ich nehme so viel mit von deiner Art das Leben zu leben. Ich feiere dich und hab so viel gelernt von dir. Sich im Moment zurückzunehmen, sich einmal nicht so wichtig zu nehmen, wie ich es oft tat, und jeden Moment als wertvoll empfinden – das hab ich mir abgeschaut und es tut so gut, das Leben genauso zu sehen. Bei jeder Familienfeier hast du gesagt, dass du so unendlich dankbar bist und wir es alle sein können, hier und heute zu leben, ohne Krieg, Schmerz und Leid, mit all unseren Liebsten zusammen zu sein und in Frieden sein zu können. Du hast so recht! Wir können uns so glücklich schätzen. Ich bin so dankbar, dass mein Papa und meine Mama zusammen gefunden haben und dass ihr, du und Wolfi-Opa, mich an- und aufgenommen habt, einfach so, als euer Enkerl. Das ist ein wertvolles Geschenk, dass ich demütig annehme/angenommen habe. Ich danke euch dafür von ganzem Herzen, das ist nicht selbstverständlich. Ich kenne einige Familiengeschichten, die nicht, so wie unsere, von Zusammenhalt, Gemeinsamsein und füreinander Dasein geprägt sind. Wir können uns immer auf uns verlassen, nicht nur wenn es hart auf hart kommt. Ich genieße alle Momente, alle bereichernden Gespräche und Diskussionen und ganz besonders unsere Leichtigkeit beim Zusammensein. Jedes Treffen war ein Genuss, nicht zuletzt den Spaß, den wir jedes Mal hatten, ich kam oft mit einem Lächeln auf den Lippen und einem warmen Gefühl im Herzen nach Hause. Es war immer lustig, der Schmäh is grennt. Ich denke gerade an unsere Poker-Abende – Leg dich endlich nieder! 🙂 Wir haben gelacht und das Leben gefeiert. Das wird natürlich jetzt auch noch so sein und du wirst in unser aller Herzen immer mit dabei sein. Ohne dich gehts nicht! Ich bin so dankbar, dich kennengelernt zu haben und deine Art zu leben miterleben durfte. Du bist so eine positive, lebensbejahende Person – das hab ich mir abgeschaut.

Ich habe heute so viele Menschen umarmt und auch deine immer gefühlvollen, zärtlichen und warmherzigen Umarmungen gespürt. Ich bin sehr stolz, deine Enkelin sein zu dürfen und ich werde dich immer im Herzen behalten. Viele Menschen verlieben sich in jemanden und heiraten in eine Familie ein, die nicht so großherzig ist oder eine ganz andere Einstellung zum Leben hat. Das hätte auch meiner Mama passieren können. Dem war Gott sei Dank nicht so!

Jedes Mal, wenn wir Frauen zusammensaßen, spürte ich eine tiefe Verbundenheit. Du warst eine Feministin, auch wenn nicht lautstark, aber trotzdem so laut, dass ich es hörte und so stark, dass man sich dich nur als Vorbild nehmen konnte. Du warst so vielseitig, ob die Töpferei, Malerei, die Astrologie oder dein Blick auf die Welt. Wie Papa heute sagte, eine Wegbereiterin, eine grandiose Wegbegleiterin und Spitzenköchin, alles nur für deine Lieben und ich bin so froh, dazugehört zu haben. So viele Momente, die nur uns gemeinsam gehören, werde ich immer in mir tragen.

Wir alle werden auf den Opa aufpassen und ihn in unsere Mitte nehmen und zusammenrücken, ihn festhalten, so wie du es dir gewünscht hättest – so wie du es uns gelehrt hast.

Ich weiß, weil du es mir sagtest, dass du stolz auf mich bist. Das ehrt mich so! Ich werde dich nicht enttäuschen. Ich werde mir treu bleiben und meinen Weg gehen, denn das hättest du gewollt. Ich werde das Beste aus jedem Moment machen und das Beste aus allem schöpfen, auch wenn das Leben mir Steine in den Weg legt. Du bist eine große Inspiration für alle, die dich kennenlernen durften. Du bist ein großartiger und herzensguter Mensch und wirst nie vergessen sein, darauf kannst du dich verlassen. Du wirst immer bei uns sein. Du bist unsere Uta.

Gedankenflug

An Schlaf war nicht zu denken, bloß ans Leben und Beziehungen, an meine Beziehung .. ach, an nichts Bestimmtes und das Übliche. Das Schwarz der amerikanischen Nacht verfärbte sich dezent zu einem Dunkelblau und ein einzelner Stern leuchtete dem Flugzeug den Weg Richtung Heimat mit Zwischenstopp. Der helle Punkt stieg langsam immer weiter auf und mit der Zeit konnte man auch wieder Wolken im Mittelblau erkennen. Die Blautöne wechselten sich im Minutentakt ab und ich konnte meine Augen nicht abwenden.

Es war mir auch egal, dass ich an der kleinen Scheibe denselben Fettfleck meiner Stirn hinterließ, wie ich ihn so hasse, wenn ich in einem öffentlichen Verkehrsmittel Platz nehme, da ich selbiges dann nicht mehr tun kann und mir dauernd vorstellen muss, welcher grausige, fettgesichtige, picklige Mensch hier wohl zuvor gesessen hat, gleichwohl wissend, dass auch ich einen fettigen Abdruck hinterlassen werde, der andere dazu veranlasst, darüber zu sinnieren, welche Abartigkeiten meinen Körper oder zumindest meinen Kopf zieren.

Ein tiefes leuchtende Rot kam schwadenartig zum Vorschein und alles lichtete sich mit einem Mal. Ich sah bedächtig zu, zog meine Beine hoch, genoss währenddessen Damien Rice in meinen Kopfhörern und den Ausblick, den die Grenzenlosigkeit mir vor mir bot und war über den Augenblick dankbar. Ich erkannte den Wert des Moments, solche Zeiten mit mir allein haben eine ganz besondere Bedeutung für mich, auch wenn ich mich ob des bevorstehenden und mit Sicherheit anstrengenden Seminars ins Träumeland begeben hätte sollen.

Plötzlich entdeckte ich weit unter meinem Stern, der schon im Hellblau verschwinden wollte (auch er ging anscheinend schon schlafen), einen gleißenden, winzigen und blutroten Strich in der Wolkenwand, der immer größer und breiter wurde. Rundherum waren alle warmen und kalten Farben, die es gab, auszunehmen, augenscheinlich wechselte sich die Nacht mit dem Morgen ab und der grelle leuchtend rote Streifen verwandelte sich zu einer hellen orangenen Halbkugel. Die Sonne begrüßte mich mit freudestrahlenden Sonnenstrahlen, sie strahlte bald so hell, dass ich nicht mehr direkt beobachten konnte, wie sie immer weiter aufstieg. Ich blickte zur Seite, einmal noch in die Nacht, die bald hinter mir lag und erkannte.. ein Herz!? Täuschten mich da meine Augen? Ja klar, ich war übernachtig, sollte die längste Zeit schon schlafen, um möglichst ausgeruht anzukommen, aber es waren die Umrisse eines Herzens. Ich kenne das Phänomen, wenn man lange in gleißendes Licht sieht und dann schnell auf einen anderen Punkt einer flachen und andersfärbigen Fläche, sodass man oft kleine Schatten wahrnehmen kann. Genauso wie bei diesen PC-Bildern, bei denen angegeben wird, 30 Sekunden aufs Bild und danach auf eine weiße Wand zu starren und plötzlich erscheint dort Marilyn Monroe oder Ex-Präsident Bush.

Ich sah ein Herz. Einmal noch in die Sonne. Einmal noch ins letzte Dunkelblau des Himmels. Unwiderruflich, es war eines. Die Sonne hatte die Form eines Herzens. Ich glaubte nicht an Zeichen und Symbole. Im Display der Rücklehne des Vordersitzes sah ich, dass sich Ed Sheeran ankündigte, ich war damit einverstanden und ließ ihn gewähren. Im selben Augenblick deutete mir die etwas zu sehr geschminkte Flugbegleiterin mit einem steifen Lächeln und einer seltsamen Handbewegung, dass ich das Verdeck runterziehen solle, sie gestikulierte weiter mit ungelenken Gebären und ich vermutete, sie meinte, das Licht störe die anderen Fluggäste, da es immer heller wurde und wir gerade einmal 23 Uhr Abflugortszeit hatten. Mit einem schiefen Grinser verabschiedete ich mich von der tatsächlich schon blendenden Sonne, schob die Klappe trotz allem widerwillig zu und hatte auf einmal keine Lust mehr auf Ed, lieber war mir Sophie Hunger, die ich mit großer Freude auch in dem Musikordner der Schweizer Airline fand. Ich ließ meine Beine über die Lehne baumeln, quetschte den kleinen Polster zwischen Schulter und Kopf, richtete die Earphones und schloss die Augen. Dieses Flugzeug ist wirklich geräumig, Beine über die Lehne? Das gibt es selten. Noch 2 1/2 Stunden bis Zürich, noch zehn Stunden bis zum Startschuss des neuen Seminars. Im Geiste ging ich alle Internetseiten durch, die ich aufrufen musste, um an die Unterlagen und Materialien zu kommen, die für die TeilnehmerInnen wichtig waren.

Meine Beziehung war schon lange nicht mehr das Gelbe vom Ei. Oft kam es mir so vor, als halte ich krampfhaft an ihr fest, mit dem Wissen, dass es nur noch der besagte Strohhalm ist, an den ich mich klammere und nicht und nicht lösen will, weil ich sonst.. was? Ertrinken würde? Alleine wäre? Wichtiger wäre die Frage nach dem Glücklichsein, aber die stelle ich mir selbst nie, ich denke, ich habe zu viel Angst vor der Antwort. Der letzte Sommer war genauso verregnet wie unsere Beziehung. Wir hatten gute Zeiten, aber die letzten waren mies. Zu viel Streit und Zwist, zu viel Egoismus auf beiden Seiten, zu viel vom Schlechten, zu viel an Ungutem für Liebe und Partnerschaften. Natürlich versuchen wir beide es tagtäglich zu ändern, aber viel zu schnell kommt man wieder in den Streittrott. War diese Beziehung, dieser Mensch es noch wert, darum zu kämpfen? Die Gedanken kreisten und Sophie Hunger sang, die Augen blieben geschlossen.

Viel zu lange drücke ich mich schon vor einer Entscheidung, ich will nicht den falschen Weg wählen, will keine Fehler machen oder zumindest nicht noch mehr. Oft nehme ich mir vor, wird alles anders, alles besser. Tu so als ob, bis du es kannst – sagte eine Therapeutin zu mir. Sei einfach nicht streitsüchtig, das ist es nicht wert – sagte ich mir. Das Leben ist zu kurz, lass Liebe in den Herz. Bullshit! Wenn ich ärgerlich bin, weil schon wieder etwas Ausgemachtes nicht eingehalten wird, gehe ich eben in die Luft. Was soll das auch? Hat meine Zeit kein Gewicht? Bin ich etwa selbstverständlich? Wut! Sophie muss weichen, ich finde die Foo Fighters – gut, genau richtig. Ich möchte nicht mehr der Trottel vom Dienst sein, der den Haushalt schmeißt und versucht alles am Laufen zu halten. Diese Beziehung schwächt mehr als sie stärkt. Daran hat wohl keiner Schuld oder beide zu gleichen Teilen. Trotzdem bin ich wütend, musste es soweit kommen? Schaffen wir diese Beziehung oder schaffen wir uns? Will ich ihn überhaupt mit Haut und Haar oder ist es nur bequem? Wie viele Entgleisungen müssen passieren, um mit rechtem Gewissen sagen zu können, wir habens nicht geschafft? Und wie wenig habe ich mich bis jetzt angestrengt, um die Brüche wieder zu kitten? Ich will nicht nicht alles versucht haben, ich will mir nicht vorwerfen müssen, nicht alles für diesen Menschen und diese Beziehung getan zu haben. Doch die letzten Monate sind nur ein Dahinwurschteln.. Wir sollten in die Politik gehen, da würden wir statt schmerzhaften Herzensbrüchen Karriere machen.

Die Gedanken kreisten so umher und die Gefühle schwirrten hinten nach, von heiß bis kalt. Dieses Sonnenherz ließ mich jedoch nicht los. Sollte mir das etwas sagen? Wie konnte ich dieses Zeichen umlegen? Es musste etwas bedeuten. Fand ein Umbruch statt, musste er jetzt sein? So konnte es nicht mehr weitergehen, da hatte das Herz im Himmel recht. Die Entscheidung will gefällt werden. Ich hatte meinen Freund in Amerika nicht einmal vermisst. Im Gegenteil, ich atmete sogar auf, als ich mich beim Hinflug in den Sitz fallen ließ. Kurz vor dem Boarding haben wir nochmal gestritten beim Verabschieden. Musste das sein? Im Grunde nicht. Es war eine Nichtigkeit, aber unsere Stimmung miteinander war schon so aufgeladen, das einer von uns beiden bei der kleinsten Kleinigkeit in die Luft ging, diesmal war es ich, weg von ihm, weit weg, lange weg. 3 Wochen allein. Ich konnte es kaum fassen, ich freute mich sehr und war erleichtert, als der Flieger startete.

Den ganzen Urlaub lang wartete ich sehnlichst auf die Sehnsucht nach ihm, ich wollte ihn vermissen. Das war immer so, wenn wir getrennt waren. Aber diesmal kam es nicht, ich wollte es erzwingen, hörte unsere Lieder, sah mir Fotos guter Tage an,  wenn ich abends im Bett lag und las alte Nachrichten, in denen die Liebe zwischen jeder Zeile geradezu sichtbar wurde. Nichts, zu groß war das Abenteuer „Amerika allein“, zu spannend die neuen Möglichkeiten, die sich auftaten und die andere, neue Zukunft, die ich mir heimlich ausmalte, zu aufregend waren die Blicke, die mir die Männer zuwarfen, die ich seltsamerweise bemerkte. Diese Zeit gehörte allein mir. Ich genoss jeden Augenblick und begann mich wieder wohl zu fühlen in meiner Haut, ich schätzte mich, nein.. ich liebte mich wieder ein Stückchen mehr. Vielleicht war das das Zeichen. Vielleicht wollte mir das Herz sagen, dass ich wieder an mich denken sollte. Der Urlaub war traumhaft, gute Emotionen, ich spürte mich, keine Aggressivität, keine Zwietracht, kein Unwohl- oder Niedergeschlagensein – einfach nur ich, die langsam wieder zu sich selbst findet und dabei glücklich ist.

Keine Angst mehr vorschützen – dieser Schritt musste gesetzt werden. Zu gut ging es mir ohne ihn. Auch wenn es schmerzen wird..

Just in dem Moment tippte mich jemand an und ich blickte in das Gesicht der Flugbegleiterin, die ihre Augen scheinbar mit einem dicken, silberfarbenen Edding rundherum bemalte. Mit fragendem und verwirrtem Blick musterte ich sie und verstand nicht. Erst nach und nach dämmerte mir, dass sie mir das Frühstück reichen wollte. Sie wirkte genervt und noch genervter verdrehte sie ihre silberglänzenden Augen, als ich das Essen ablehnte und stattdessen Rotwein orderte.

Ich fragte mich, ob ich denn geschlafen hatte oder die ganze Zeit ob einer Beziehungslösung grübelte. Auf eine Antwort kam ich nicht, nippte an dem viel zu kleinen Plastikbecher mit dem zu kalten Wein darin und drückte so lange am Display herum bis ich den Soundtrack von dem Film „Ziemlich beste Freunde“ fand – Ludovico Einaudi.

Den Film sahen wir gemeinsam, damals, als noch alles gut war. Die Musik war zu leise eingestellt und so hörte ich den älteren Mann hinter mir, die hübsche Frau Mitte vierzig schräg hinter mir, fragen, wohin denn ihr letzter Flug ging. Ich konnte Smalltalk-Standard-Floskel-Gespräche noch nie ausstehen und verstärkte die Lautstärke meiner Kopfhörer bis zum Anschlag. Mein etwas dicklicher Nebenmann rümpfte die Nase und warf mir einen etwas zu grimmigen Blick zu, dafür dass er den ganzen Flug mehrere Wälder im Schlaf rodete und auch das Mittagessen und jetzt das Frühstück mit einem Schmatz-Orchester begleitete. Ich achtete nicht darauf, nahm einen weiteren Schluck und spürte die Müdigkeit und das warmig-wohle Gefühl des Weines, vor allem in den Beinen, sogar die schliefen ein im Gegensatz zu mir. Ich suchte mir eine neue Sitzposition und dachte an die Frage meines Hintermannes.

Mein letzter Flug brachte mich und meinen Freund von Irland nach Hause. An die Reise konnte ich mich noch gut erinnern. Das waren noch Zeiten. Wir verbrachten nur drei Tage in Dublin, aber es waren die drei besten Tage seit langem. Wir verstanden uns so gut, dass wir danach beschlossen, bald wieder zu verreisen. Dazu kam es nicht mehr, zu schnell hatte uns der Alltag und das beklemmende Gefühl wieder eingeholt. Der Rückflug war diesem hier ähnlich, auch damals hörte ich Musik und musste bald nach dem Ankommen am Flughafen ein Seminar leiten. Mit dem Unterschied, dass mein Freund neben mir saß und ich schlafen konnte. Moment! Lieder hören und schlafen?

Ah doch, es fiel mir wieder ein. Ich hatte auch einen Fensterplatz, kuschelte mich an ihn und hielt seine Hand, während er sich den Neuen „96 Hours – Taken2“ mit Liam Neeson ansah. Ich meckerte, da ich den Film gerne mit ihm zusammen gesehen hätte, aber jetzt jede Stunde brauchte, um kein Schlafdefizit bei der Ankunft zu haben. Ich würde den Film danach länger nicht sehen, da ich ja nicht alleine ins Kino gehen würde. Ich war genervt, versuchte trotzdem zu schlafen und drückte seine Hand fest, um ihm meinen Unmut klar zu machen. Ich hörte irgendein neues Album von irgendeiner Band und weiß noch, dass er mir alle paar Minuten mit dem Daumen sanft über den Handrücken strich. Ich reagierte mit einem leichten Druck meines Daumens, was die Antwort auf die unausgesprochene Frage war, ob ich noch munter sei. Hätte ich kein Zeichen mehr erwidert, wusste er, dass es Zeit war, mir entweder die Ohrstöpsel zu entfernen oder die Musik abzudrehen, um mich vor zu strengen Klängen und Lautstärken im Schlaf zu schützen.

Die Durchsage, dass wir zum Landeanflug ansetzen und Zürich somit schon erreicht hatten, riss mich aus den Gedanken. Während des Wartens auf den Anschlussflug musste ich unbedingt das Seminar vorbereiten, ich hatte jetzt gute zwei Stunden Zeit dafür. Das musste ausreichen und ich verscheuchte die Erinnerungen dieser vergangenen und schönen Tage. Zuerst dachte ich, dass es in Zürich regnet, doch dann erkannte ich, dass es bloß ein Fensterputzer war. Der hatte bei der riesigen Scheibenfront bestimmt lange zu tun, ich beneidete ihn dafür nicht. Ich war froh, bloß meinen Laptop öffnen zu müssen, um mit der Arbeit beginnen zu können. Gott sei Dank fand ich noch einen Sitzplatz mit Steckdose, und freies WLAN gab es obendrauf. Den Starbucks-Kaffee für 4,50 ließ ich mir schmecken und redete mir mit jedem Schluck ein, dass ich die Energie, die er mir schenkte, spürte. Es war natürlich Selbstbetrug, aber die Arbeit musste erledigt werden. Als die Durchsage mein Boarding ankündigte, tippte ich gerade die letzten Worte. Perfektes Timing! Jetzt noch 1 1/2 Stunden und ich lande ich Schwechat. Ich packte den Computer ein, schnappte mein Handgepäck und machte mich mit neuer Kraft auf den Weg zum Gate.

Ich nahm an dem denkbar ungünstigsten Fensterplatz, genau unter dem Flügel, Platz, selber schuld, wenn man nicht rechtzeitig online eincheckt. Schade, denn auch diesmal waren die Scheiben sauber. Aber was nützt es mir, mir die Stirn an der Plastikscheibe plattzudrücken, wenn ich die Landschaft nicht sehe? Vielleicht funktioniert es diesmal mit dem Schlaf, ich versuchte es und zwang mich, an nichts zu denken. Es funktionierte und ich wachte erst wieder auf, als der Flieger schon am Wiener Flughafen zum Stehen kam. Ich war so schlaftrunken, dass ich im ersten Moment nicht wusste, wo ich war. Ich erinnerte mich an das Sonnenherz, an meinen Entschluss, an mich zu denken und meinen Weg zu gehen und an die Zärtlichkeit des Moments, der schon so lange zurücklag, damals gemeinsam im Flugzeug, als es noch ein „wir“ gab.

Er müsste schon auf mich warten, beim Aussteigen stellte ich den Flugmodus ab und versuchte ihn zu erreichen, aber mein Handy verwehrte mir den Empfang. So hoffte ich und holte meinen Koffer. Als ich in die Empfangshalle trat, wurde ich schon erwartet.. von vielen fremden Menschen. Er jedoch war nicht da. In meinem Kopf formte sich ein: Typisch!

Derselbe Unmut wie immer, derselbe den ich jetzt drei Wochen lang nicht verspürte.

Mein Freund war immer für mich da, tat viel für mich und unterstütze mich meistens, wenn es notwendig war. Er holte mich auch vom Flughafen ab, nur nicht zu der Uhrzeit, die mir angenehm wäre. Vor allem weil ich so schnell wie möglich nach Hause musste, duschen, umziehen und los zum Seminar. Und er war nicht da, was so klar war. Jetzt kam ich zu spät. Er denkt wieder nicht an mich. Kann er nicht früh genug wegfahren? Ich rollte meinen Koffer zeternd hinter mir her, kaufte mir einen diesmal erschwinglichen schwarzen Kaffee in der Anker-Filiale, checkte während des Zahlens, ob mein Handy zumindest so gnädig war, mir etwas Empfang zu schenken.. aber nichts.

Ich marschierte nach draußen in die Raucherzone, zündete mir eine Zigarette an und versuchte krampfhaft nicht noch wütender und ungeduldiger zu werden. Außer warten konnte ich nun sowieso nichts tun.  Scheiss-Handy, Scheiss-ich verlass mich auf ihn, ich hätte jemand anderen fragen sollen, er kommt überall hin zu spät. Wieso probier ich es trotzdem immer wieder? Ich kann mit dieser Leichtigkeit und „Alles ist wurscht“-Mentalität nichts anfangen. Ich muss mich selbst organisieren, nächstes Mal nehme ich die Bahn!

Weitere fünf Zigarettenlängen und mehrere ausgedachte Schimpftiraden später, sehe ich ihn auf mich zugehen, mit einem Es tut mir leid-Lächeln und beiden Händen ein Herz vor seiner Brust formend. Ein Herz! Plötzlich ist aller Zorn verraucht wie der letzte Zug der Zigarette, die ich wegschnippe. Ich atme aus, denke an die letzten fünf Jahre, die guten und die schlechten Momente. Mein Gedanken sind glasklar und blitzschnell, die Entscheidung ist gefallen.

Ich angle nach dem Griff meines Koffers, gehe auf ihn zu und sage leise aber bestimmt: Hallo! Wir müssen reden..