Stammkneipe

An diesem Dienstagabend befinden sich nur wenige Menschenleben in der Bar. Die Luft ist keine – abgestanden und stickig. In diesem heißen Juli ist es für die Kneipe auch zu schwül, ohne Fenster und Dachluke. Die kleine, morsche Eingangstür ist offen und tut ihr Bestes, aber vergeblich. Genauso aussichtslos wie die 80er-Jahre Musik, die aus zwei alten Boxen dröhnt, angestrengt versucht, die Stimmung zu heben. Die Gemüter dümpeln für sich dahin. Jeder wartet, jeder wartet auf etwas anderes und doch alle auf dasselbe.

Ein junger Mann, der um einiges älter wirkt, mit schulterlangem, dunklem Haar und wirklich schmächtiger Statur, trinkt Club Mate und schüttet seiner Bekannten, der Kellnerin, sein Herz und mit einer zu ausladenden Geste auch die Flasche aus. Sie stellt ihm eine neue auf den Tresen und während des Aufwischens des Rinnsals klagt er, dass die Angebetete keine erotische Notiz von ihm nehme, er nur ein guter Freund sei und es nicht so wirke, als könne er sie jemals von sich und dem Gegenteil überzeugen. Die Geschichte seines Lebens.

Zwei Hocker weiter, direkt vor dem Zapfhahn, der seinetwegen fast viertelstündlich betätigt wird, sitzt ein älterer, unscheinbarer Mann mit verhärmten Zügen, zerknirscht kippt er ein Bier nach dem anderen in sich wie ein nicht enden wollender Strom an Vergessenheit. Sprechen tut er nichts und mit den Biergläsern an den Lippen würde das auch nur schwerlich funktionieren. Cyndi Lauper singt „Time after time“ und er wirkt mit einem Mal, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. Er stellt das Glas ab und murmelt etwas vor sich hin, die Kellnerin blickt kurz auf, aber senkt den Blick auch gleich wieder und stellt ihm ein neues Krügerl vor die Nase. Kaum merklich scheint er sich zu bedanken, versinkt innerhalb von Sekunden in seinem Glas und somit auch wieder in seiner Welt.

Ihm gegenüber nimmt gerade ein Typ mit Glatze Platz, der in seinem zu weit geöffnetem kariertem Hemd einen Bierbauch vor sich her trägt. Er blickt immer wieder zu dem Schmächtigen hinüber, er scheint gelangweilt zu sein, aber wirkt fahrig und unruhig – fast verärgert, wohl über nichts. Aus seinen Augen spricht die Angriffslust und der Club Mate-Trinker bemerkt gekonnt die Streitsucht, beendet sofort seine seufzende Leier und tut so, als müsse er irrsinnig dringend das Kleingedruckte des Etiketts auf der Flasche entziffern. Die Kellnerin raunt dem Dünnen zu, dass die Familie des Bierbauchs nichts mehr von ihm wissen wolle und fügt schulterzuckend hinzu: Und vermutlich auch sonst niemand. Laut fluchend und mit der Zigarette zwischen den Lippen, sichtlich aufgegeben, reibt er sein Gesicht. Besser Tränen vom Rauch in dem schmerzenden Auge als wegen der eigenen Unfähigkeit ein guter Vater und Ehemann zu sein. Er kämpft mit sich und deshalb oft mit anderen.

Das junge Pärchen am anderen Ende der Bar ist auch nur hier, um allein in den eigenen vier zu kleinen Wänden nicht miteinander sprechen zu müssen. Sie sind für ihr Alter schon lange zusammen – jetzt sitzen sie schweigend und mit leeren Gesichtern und Gläsern nebeneinander und warten – wie die toten Zigarettenstummeln im übervollen Aschenbecher vor ihnen auf ihr zweites Ende. Das Mädchen bekommt ein neues Getränk und ist sichtlich genervt – das Wasser, das sich am unteren Ende des Spritzerglases sammelt, tropft auf den sommerlichen Stoff ihres Rockes. Nach jedem Schluck positioniert sie es am dunklen Holztresen genau neben dem runden Wasserrandabdruck, der davor entstand, um die Wasserbildung und die Langeweile zu verringern. Das nützt aber nichts, da sich das Kondenswasser wegen des kalten Weines immer wieder von Neuem bildet und so zieht sie mit dem Finger langsam die Wasserkreise am Tisch nach, bis sie sie letztendlich mit einem Seufzer und der ganzen Handfläche verwischt. Gäbe es in diesem Lokal Bierdeckel, hätte sie zumindest das Wassertropfen-Rock-Problem nicht. U2 schallt aus den Boxen „With or without you“ und ihr Freund, der sie die ganze Zeit gedankenverloren beobachtet und dabei eigentlich ins Nichts starrt, lacht plötzlich schrill auf und verstummt gleich auch wieder. Das junge Mädchen und der Dünne blicken verwirrt auf. Er hat den Faden verloren, aber er braucht auch keinen, er setzt einfach woanders wieder an. Er sei ja ein Guter, er könne nicht verstehen, dass sie das nicht erkennt und stattdessen immer wieder zu dem Macho-Typ zurückgeht, der sie doch so mies behandelt. Er läge ihr die Welt zu Füßen, wenn er könnte.

Ich bezweifle, dass er ihr eine ganze Welt schenken könne, doch der andere mit ziemlicher Sicherheit ebenso wenig. Aber vielleicht will sie ja auch gar keine vollständige heile Welt. Frauen sind in der Hinsicht oft seltsam, kleben an Schlechtem und sträuben sich vor Gutem, wollen es nicht sehen und sich lieber quälen. Manche brauchen das Drama, andere leiden gern. Im Grunde leiden die meisten dieser Damenwelt ohne Grund, denke ich. Und so vergeht wieder eine Dienstagnacht in Gesellschaft der wahrscheinlich traurigsten Gestalten dieser Stadt, die zu sprachlosen Freunden wurden. Seelenverwandte auf Zeit – manche bleiben für immer, treffen sich morgen Abend wieder – in der Hoffnung, Positives erzählen oder erleben zu können, mit dem Wissen, dass das nicht geschehen wird. Der Ort, an dem man etwas finden will – ein schmerzvolles Gesuchtwerden. Aber die verirren sich nicht hierhin in diesen düsteren Kreis. Nur Trauermienen verlaufen sich hierher und ich.

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